Intern Rosmarie Rentsch – 35 Jahre Sennhof Als sie am 5. August 1983 ihre Stelle als Nachtwache im Sennhof antrat, hätte Rosmarie Rentsch wohl ungläubig den Kopf geschüttelt, wenn ihr jemand gesagt hätte, sie werde die Stelle bis zu ihrer Pensionierung behalten. Als Nachtwache hatte man damals noch das Privileg, direkt im Innenhof parkieren zu dürfen. 80 Bewohnende betreute sie, gemeinsam mit einer anderen Pflegehil- fe. Trotzdem - sagt Rosmarie Rentsch - erlebte sie die Nächte ruhiger als jetzt. Die Bewohnenden waren selbständi- ger, hatten weniger Ansprüche. Um 20 Uhr war Arbeitsbeginn. Nach dem Rapport galt es, die Bewohnenden ins Bett zu bringen. Einige wurden vorher noch gebadet. Die Badewannen befan- den sich damals noch im Keller. «Drei Kontrollrunden wurden während der ganzen Nacht gemacht. Dazwischen gab es zusätzliche Aufgaben wie z.B. Rollstühle reinigen. Und doch blieb mehr Zeit als heute für die Bewoh- nenden», resümiert Rosmarie Rentsch. «Herr W. kam oft nachts zu uns für eine gemeinsame Spielrunde. Morgens um 4 Uhr wurden die ersten Bewohnenden geweckt für die Morgenpflege. Viele von ihnen waren Bauern. Frühes Er- wachen machte ihnen nichts aus. Wenn sie gewaschen und angezogen waren, konnten sie sich wieder ins Bett legen und weiterschlafen bis zum Frühstück». «Rosmarie Rentsch gehört zu den wenigen, die den Sennhof noch vom Keller bis zum Estrich kennen.» 38 Einmal Krankenschwester zu werden, war ein Kind- heitstraum von Rosmarie Rentsch. Dieser wurde jäh zerschlagen, als am Tag ihres 10. Geburtstags ihr Vater auf tragische Weise das Leben verlor. Zutiefst erschüttert durch dieses Er- eignis fand sie nicht mehr zurück zu den schulischen Leistungen, welche sie für die Ausbildung zur Kran- kenschwester gebraucht hätte. Vom Weg abbringen liess sie sich grundsätzlich dennoch nicht. In Burgdorf absolvierte sie die Spital- gehilfinnenschule. Nach eineinhalb Jahren Pflege- tätigkeit in der Moosmatt wechselte sie als junge Frau für kurze Zeit in die Gastronomie als «Mädchen für alles», wie sie selber sagt. Mit Stolz erfüllte sie, dass sie einmal für drei Tage den Betrieb ganz alleine führen durfte, während die Wirtsleute abwesend wa- ren. Als nächsten Arbeitgeber wählte sie 1982 die Migros. Im privaten Bereich gab es in dieser Zeit ebenfalls Verände- rungen. Sie war mittlerweile verheiratet und erwartete ihr erstes Kind. Nach der Geburt erwog sie, wieder als Spitalge- hilfin zu arbeiten - und zwar nachts. Das war 1983. Auf die Frage, was ihr so im Rück- blick ganz spontan in den Sinn komme - überlegt sie nur einen kurzen Moment und erzählt mit Schmunzeln die Episode von Frau L., die ihr im Kor- ridor entgegen kam, ihre nasse, grüne Einlage über den Kopf gestülpt. In Erin- nerung geblieben sind auch die damals noch üblichen 6- und 7-Personen-Zim- mer, in denen es ab und zu laut zu- und herging, wenn Einer so laut schnarchte, dass die anderen deswegen nicht mehr schlafen konnten. Damals gab es auch noch kein WC in den Zimmern. Viele Bewohnerinnen hatten einen Blasen- katheter. Speziell war auch die Art und Weise, Wäsche zu trocknen. Sie wurde an einem Seil aufgehängt, das zwischen den damals noch bestehenden zwei grossen Linden vor dem Hauptportal gespannt wurde. Rückblickend auf die 35 Jahre, so Ros- marie Rentsch, könne sie sagen, dass Eine strahlende Rosmarie Rentsch - und dies am Ende einer intensiven Nachtschicht. Man spürt, dass sie mit Freude bei der Sache ist und sich voll einbringt. diese eigentlich im Flug vorbei gin- gen. Mit jeder neuen Bauetappe, so habe sie es erlebt, seien die Anforde- rungen gestiegen, speziell auch an die Nachtwachen. Sie habe den Eindruck, die Hektik nehme ständig zu. Heute sei die Nachtwache - trotz 4 Personen für ca. 120 Bewohnende - viel strenger und intensiver geworden. Ob sie denn nie ans Aus- oder Umsteigen gedacht habe, möchte ich von ihr wissen. Ein klares Nein ist ihre Antwort. «Ich habe den Beruf gewählt, also muss ich jetzt da auch durch. Für die letzten drei Jah- re bis zur Pensionierung ist auch kein Stellenwechsel mehr geplant», hält sie schmunzelnd fest. Rosmarie Rentsch gehört zu den wenigen, die den Senn- hof noch vom Keller bis zum Estrich kennen. «Vor kurzem war ich auf dem Estrich, um nach einer Beinlagerungs- schiene zu suchen. Plötzlich rumorte es unter dem Dach. Wahrscheinlich ein Marder, der Quartier bezogen hat» er- zählt sie lachend. Schreckhaft war sie nie! Mittlerweile ist es bei unserem Ge- spräch nach durchgearbeiteter Nacht fast acht Uhr geworden. «Nun muss ich aber schlafen gehen» sagt Rosmarie, «denn um 11 Uhr fahre ich zu meinem Enkel. Heut ist Hütetag». Der vier Monate alte Julian ist ihre grosse Freude. Als sie mir ein Bild von ihm zeigt, liegt ein warmes, glücklich strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. IdR